Ein Rezept für erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung mit Ende-zu-Ende-Plattformen
Interview 25.09.2023
Noch bis zum 2. Oktober kann die 200 Euro-Einmalzahlung online beantragt werden. Frank Bonse, OZG-Koordinator im Land Sachsen-Anhalt, spricht im Interview zum Projekt.
Das Digitalisierungsprojekt zur Einmalzahlung für Studierende sowie (Berufs-) Fachschülerinnen und Fachschüler zeigt eine gelungene, flächendeckende Digitalisierung innerhalb kurzer Zeit. Über die einheitliche Plattform "Einmalzahlung200", die mit besonderer Unterstützung des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Auftrag des Landes Sachsen-Anhalt erstellt und von allen Bundesländern genutzt wird, wurden innerhalb von nur wenigen Wochen bereits über zwei Millionen Einmalzahlungen abgewickelt. Die flächendeckende Umsetzung der OZG-Fokusleistung gelang innerhalb von wenigen Wochen nach Verabschiedung des entsprechenden Bundesgesetzes. Noch während der technischen Umsetzung haben die Länder die notwendigen Verordnungen und Verwaltungsvereinbarungen abgeschlossen, so dass die Nutzung der Plattform nach dem "Einer für Alle"-Prinzip (EfA) auch rechtlich möglich war.
Frank Bonse spricht im Interview über günstige Rahmenbedingungen, Herausforderungen und kreative Lösungen und gibt Tipps, wie andere Digitalisierungsprojekte von den Erfahrungen profitieren können.
Was waren aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?
Es gab mehrere bedeutende Herausforderungen im Verlauf des EPPSG-OZG-Digitalisierungsprojekts zum "Gesetz zur Zahlung einer einmaligen Energiepreispauschale für Studierende, Fachschülerinnen und Fachschüler sowie Berufsfachschülerinnen und Berufsfachschüler in Bildungsgängen mit dem Ziel eines mindestens zweijährigen berufsqualifizierenden Abschlusses" (Studierenden-Energiepreispauschalengesetz - EPPSG). Vor allem die Ausgangslage gestaltete sich äußerst komplex. In Deutschland gibt es über 4.500 Ausbildungsstätten im Rahmen des EPPSG, darunter auch kleinere Fachschulen ohne ausgeprägte technische Infrastruktur. Zudem sind über 3,5 Millionen Anspruchsberechtigte betroffen, darunter Minderjährige und ausländische Bildungsteilnehmende ohne deutsche Meldeadresse. Ein einheitliches Register für alle Ausbildungsstätten oder Studierenden existiert nicht. Rechtliche Aspekte wie Datenschutz, Vergaberecht und Verwaltungsrecht stellten ebenfalls eine Herausforderung dar.
Nachdem wir einen Prozess entwickelt hatten, der die komplexen Gegebenheiten berücksichtigte und technisch rasch umsetzbar war, traten rechtliche Hürden auf. Zuständigkeiten, Fragen zur Datenverarbeitung, erforderliche Rechtsgrundlagen und mehr waren zu klären. Parallel dazu wollten wir sicherstellen, dass die einmalige Zahlung zügig an die Berechtigten erfolgt. Zusätzlich hatten wir mit dem hohen öffentlichen Erwartungsdruck zu kämpfen. Deshalb entschieden wir, eine begleitende Informationskampagne zu starten, um die Menschen einzubeziehen.
Gab es auch technische Herausforderungen?
Definitiv, während des Projekts traten auch technische Herausforderungen auf. Innerhalb von nur fünf Tagen wurden erfolgreich über eine Million Onlineanträge gestellt und bearbeitet, nach drei Wochen waren es bereits zwei Millionen. Zu Spitzenzeiten gingen über 1.000 Online-Anträge gleichzeitig ein und bis zu 30.000 Online-Anträge wurden stündlich gestellt. Insbesondere beim landesweiten Start im März kam es aufgrund der Authentifizierung über eID zu Lastspitzen, die relevante Probleme verursachten.
Was unterscheidet dieses Projekts von anderen OZG-Umsetzungsprojekten und wie kam es dazu, dass eine flächendeckende Umsetzung vergleichsweise schnell erreicht wurde?
In diesem Projekt gab es einige entscheidende Unterschiede zu anderen OZG-Umsetzungsprojekten, die zu einer bemerkenswert schnellen, flächendeckenden Umsetzung geführt haben. Ein wichtiger Faktor war das Fehlen bestehender Strukturen oder Ressourcen für die Antragsbearbeitung. Dadurch konnten wir von Grund auf eine neue Plattform einführen, ohne auf bestehende Prozesse Rücksicht nehmen zu müssen.
Ein weiterer Erfolgsfaktor war die finanzielle Unterstützung seitens des Bundes. Obwohl die Verantwortung für die Umsetzung bei den Ländern lag, hat der Bund das Projekt sowohl finanziell als auch als aktives Teammitglied unterstützt. Diese enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern hat den Umsetzungsprozess erheblich beschleunigt.
Der politische Druck hat ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt. Die deutliche Erwartungshaltung der politischen Akteure hat zu mutigen Schritten von allen Beteiligten geführt. Dieser Druck hat dazu beigetragen, dass alle notwendigen Schritte zügig umgesetzt wurden, um das Projekt voranzutreiben.
Ein maßgeblicher Erfolgsfaktor war schließlich die konsequente Umsetzung der Ende-zu-Ende-Digitalisierung und Automatisierung. Indem wir den gesamten Prozess digitalisiert und automatisiert haben, konnten wir effiziente Abläufe schaffen, die eine schnelle und flächendeckende Auszahlung ermöglichen.
Auch wenn es sich um eine besondere Situation handelt: Was können Sie anderen Umsetzungsverantwortlichen mitgeben? Welche Learnings wollen Sie teilen?
Die Nachnutzung funktionierender Komponenten und Standardisierung sollten konsequent verfolgt werden. Unser Projekt zeigt einen innovativen Ansatz auf, wie Massenzahlungen an eine vielfältige Zielgruppe kosteneffizient digital abgewickelt werden können. Technische Herausforderungen waren dabei weniger signifikant als die administrativen und datenschutzrechtlichen Aspekte.
Wichtig ist zudem, die Digitalisierung von Anfang an in neuen Rechtsvorschriften zu berücksichtigen. Die Gestaltung des digitalen Prozesses und die Ausarbeitung der Gesetzes- und Verordnungsentwürfe sollten parallel erfolgen. Eine effektive Kommunikation ist ebenfalls von großer Bedeutung: Alle Bundesländer sollten von Beginn an einbezogen werden, die Vorteile der kooperativen Herangehensweise müssen klar kommuniziert werden, und gemeinsam sollten Herausforderungen frühzeitig erkannt und gelöst werden.
Wir sollten uns von der Vorstellung lösen, dass eine flächendeckende Digitalisierung von Anträgen allein ausreicht, um die Verwaltung zu modernisieren. Solange wir Schwierigkeiten haben, die diversen Fachverfahren an die Anträge anzubinden, wird die Effizienzsteigerung ausgebremst – also die Leistungen kommen nicht schneller bei den Bürgerinnen und Bürgernn an. Ein Lösungsansatz sind einheitliche Ende-zu-Ende Plattformen, die den gesamten Prozess medienbruchfrei abbilden, inklusive des notwendigen Rückkanals. Nicht nur der Online-Antrag auch die Bearbeitung im Fachverfahren, Schnittstellen zu Drittsystemen bzw. Registern, die Kommunikation mit den Antragstellenden und die Bereitstellung des Bescheids oder der Zahlung umfassen einheitliche Ende-zu-Ende Plattformen. Eine gemeinsame Plattform für alle Länder ermöglicht auch eine Harmonisierung von (Prüf-)Prozessen in den Ländern und sorgt für Transparenz und Chancengleichheit aus Sicht der Anspruchsberechtigten. Wir sollten den innovativen Geist – den „Spirit“ dieser außergewöhnlichen Situation beibehalten, disruptives Denken fördern, Mut zeigen und agile Methoden zulassen.
Letzte Frage, Sie haben in dem Projekt Direktauszahlungen an eine heterogene Zielgruppe ermöglicht. Ist damit der Weg frei für Direktzahlungen an alle Bürgerinnen und Bürger?
Durch die Nachnutzung von Plattformkomponenten wie den Corona-Überbrückungshilfen und der Basiskomponente BundID konnten wir die Umsetzung beschleunigen. Die Möglichkeit, diese Komponenten oder die gesamte Plattform für neue Vorhaben zu nutzen, muss von nun an konsequent berücksichtigt werden. Unsere Infrastruktur erlaubt nun Auszahlungen direkt an die Bürgerinnen und Bürger. Neben den technischen Aspekten wurden auch Konzepte und Vorgehensweisen zwischen Bund und Bundesländern entwickelt, die für künftige Digitalisierungsvorgaben genutzt werden können.