Digitaltaugliche Gesetzgebung - Ein Jahr Digitalcheck

Typ: Namensartikel , Datum: 27.11.2023

Zum Jahresbeginn 2023 wurde der Digitalcheck eingeführt. Ernst Bürger, Leiter der Abteilung "Digitale Verwaltung; Steuerung OZG" im Bundesministerium des Innern und für Heimat, und Stephanie Kaiser, Chief Product Officer des DigitalService des Bundes, ziehen im Interview mit egoverment.de eine erste Bilanz.

eGovernment, November 2023

aktuelles Zitat:

Ernst Bürger, Abteilungsleiter Digitale Verwaltung beim BMI
"Ziel ist es, dass Bundesgesetze für die Verwaltung in Ländern und Kommunen und in der Privatwirtschaft digital einfach umgesetzt werden können, damit politische Ziele genauer und besser erreicht werden können."

Ernst Bürger, Abteilungsleiter "Digitale Verwaltung; Steuerung OZG" im Bundesinnenministerium

Der Digitalcheck wurde zum 1. Januar 2023 eingeführt. Wie lautet Ihre bisherige Bilanz?

Bürger: Wir sind positiv gestimmt nach knapp einem Jahr Digitalcheck. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir am Anfang eines langen Umdenkens stehen. Seit Januar 2023 haben von insgesamt 87 eingebrachten Gesetzen 72 einen Digitalcheck gemacht, das ist eine Anwendungsquote von 83 Prozent.

Die Verbindlichkeit des Digitalcheck wurde im August durch einen Kabinettbeschluss gestärkt. Die Bundesregierung hat hier, wie schon im Koalitionsvertrag und in der Digitalstrategie, betont, dass digitaltaugliche Gesetze Voraussetzung für die erfolgreiche digitale Umsetzung von politischen Vorhaben sind. Das wird in letzter Zeit immer deutlicher, wenn wir an Vorhaben denken wie zum Beispiel die Wohngeldreform, die Einbürgerungsreform oder die Kindergrundsicherung.

Ordnet man den Digitalcheck in einen größeren Zusammenhang ein, wird klar, dass er ein wichtiger Baustein der digitalen Transformation in unserem Land ist. Was uns als Bund besonders freut, ist, dass sich auch immer mehr Länder für unseren Ansatz interessieren und für die eigene Gesetzgebung daran orientieren wollen. Manche Länder haben schon eigene "Digitalchecks" eingeführt, andere planen dies. Wir sind hier in einem guten Austausch.

Kaiser: Auch aus der Umsetzungsperspektive ziehen wir eine sehr positive Bilanz. Nach einem knappen Jahr sehen wir sehr deutlich den Mehrwert der iterativen und nutzerzentrierten Vorgehensweise. Das ist in diesem Kontext ja ein wirklich neuer Ansatz. Ganz konkret haben wir drei Versionen des Digitalcheck veröffentlicht und schrittweise den Nutzen für unsere Zielgruppen erhöht. Das bietet die Basis, um die Wirkung des Digitalcheck im nächsten Jahr weiter zu steigern. Dass dieses Vorgehen im Sommer im Kabinett beschlossen wurde, ist ein wichtiges Signal der Bundesregierung — mit Blick auf die besondere Bedeutung einer digitaltauglichen Gesetzgebung ebenso wie in Bezug auf das Vorgehen insgesamt.

Welche Rollen nehmen das BMI und der DigitalService im Rahmen des Digitalcheck ein?

Bürger: Wir setzen uns in der Bundesregierung dafür ein, dass die Ausführbarkeit bei allen Regelungen von Anfang an mitgedacht und so die digitale Umsetzung im Vollzug erleichtert wird. Wir tragen neue agile, ressortübergreifende und nutzerzentrierte Arbeitsweisen in den Kern der Ministerialverwaltung. Außerdem suchen wir Synergien zu weiteren Maßnahmen im Bereich der besseren und digitalen Gesetzgebung, zum Beispiel der E-Gesetzgebung, FIM oder dem geplanten Zentrum für Legistik.

Kaiser: Als DigitalService unterstützen wir das Bundesministerium des Innern und für Heimat und die Bundesregierung bei der Verwaltungsdigitalisierung und arbeiten dafür in diesem Projekt eng zusammen. Hierzu bringen wir einerseits unsere Expertise aus der digitalen Umsetzung und unsere methodischen Kompetenzen ein. Zudem können wir als neutraler Akteur Legist:innen in der Arbeit an Regelungen eine vertrauliche, methodische Unterstützung bieten.

Wie funktioniert die Abstimmung mit dem Normenkon­trollrat?

Bürger: Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) prüft die Durchführung des Digitalcheck durch die Ressorts und bewertet dabei, inwieweit die Digitaltauglichkeit bei der Erstellung eines neuen Regelungsvorhabens berücksichtigt wurde. Das ist der gesetzliche Auftrag des NKR. Für den Ausbau des Digitalcheck ist der NKR für uns ein wichtiger Partner, den wir eng einbinden.

Welches Feedback haben Sie bislang von jenen erhalten, die den Digitalcheck anwenden?

Bürger: Unsere wichtigste Zielgruppe sind die Legist:innen. Also die Mitarbeitenden der Bundesministerien, die für die Erarbeitung von Regelungen zuständig sind. Deren Feedback fällt insgesamt sehr positiv aus. Sie bestätigen, dass wir ihnen mit den fünf Prinzipien für digitaltaugliche Regelungen eine wichtige Orientierung geben und einen konkreten Nutzen für die Erarbeitung von digitaltauglichen Regelungen stiften.

Kaiser: Auch der Ansatz, bereits früh Visualisierungen von Entscheidungszusammenhängen und Umsetzungsprozessen anzulegen, stößt auf sehr positive Resonanz. Wir stellen aber auch fest, dass ­diese Herangehensweise für viele Legist:innen neu ist und ihnen oft die Zeit für eine vertiefte Auseinandersetzung fehlt. Die Folge ist mitunter auch eine gewisse Skepsis. Gerade hier zeigt sich der Mehrwert unseres nutzerzentrierten Vorgehens, da wir genau auf Basis der Bedarfe und Erkenntnisse ­passende Instrumente und verbesserte Angebote entwickeln, beispielsweise um den Zugang und das Anlegen von Visualisierungen weiter zu erleichtern.

Bürger: Positives Feedback dazu kommt auch vom NKR, der in ­Visualisierungen ebenfalls einen zentralen Baustein für eine digitaltaugliche Gesetzgebung sieht und im September zum ersten Mal eine Prozessvisualisierung im ­Rahmen seiner Stellungnahmen veröffentlicht hat.

Wichtig ist ja, dass der Digitalcheck bei Gesetzesvorhaben möglichst früh zum Einsatz kommt. Was wäre ein idealer Zeitplan?

Bürger: Wenn es um Digitaltauglichkeit, Praxisnähe und Wirkungsorientierung geht, ist es von Vorteil, dies so früh wie möglich im Gesetzgebungsprozess zu berücksichtigen. Gerade zu Beginn ist der Gestaltungsspielraum am größten. Vor allem kommt es darauf an, früh die Expertise einzubinden, die für eine erfolgreiche digitale Umsetzung gebraucht wird, zum Beispiel IT-Expertise und das praktische Wissen von Vollzugsakteuren. Dieser Austausch kann auch durch die schon erwähnte Nutzung von Visualisierungen erleichtert werden. Gerade auch für diesen frühen Austausch wollen wir im kommenden Jahr noch stärker methodische ­Unterstützung durch passgenaue Werkzeuge anbieten.

Wieso spielen Visualisierungen eine so große Rolle?

Bürger: Visualisierungen machen eigene Gedankengänge für andere nachvollziehbar und können ­daher gut genutzt werden, um mit Vollzugsakteuren oder auch im Rahmen von Ressortabstimmungen in den Austausch zu treten. Durch relativ wenig Aufwand können komplexe Regelungszusammenhänge und Vollzugsprozesse strukturiert und einfacher erfassbar gemacht werden, Logikbrüche werden offenbar. Das kann der reine Text oft nicht leisten. Weitergedacht sind Visualisierungen der erste Schritt für die detailliertere Modellierung von Regelungsinhalten, welche durch Automatisierung im Vollzug die digitale Umsetzung extrem erleichtern können.

Kaiser: Im Rahmen von Tests und Workshops mit mittlerweile mehr als 150 Legist:innen konnten wir feststellen, wie schnell sich der Mehrwert von Visualisierungen erschließt und Legist:innen mit nur wenig methodischer Unterstützung schnell eigene Regelungsbeispiele visualisieren. Ein Beispiel aus einem Workshop zuletzt: Werden Entscheidungsprozesse, Regelungsvollzug und die eingebundenen Akteure visualisiert, kommt quasi automatisch die Frage auf, ob und wo die für eine Entscheidung notwendigen Informationen und Daten bereits vorliegen. Ob sie von anderen Stellen wiederverwendet und dazu Datenaustauschverfahren ermöglicht werden können. So kann die Doppelerhebung von Daten im Sinne des Once-­Only-Prinzips vermieden werden.

Wie geht es mit dem Digitalcheck weiter? Und wie stellen Sie seine Praxistauglichkeit ­sicher?

Kaiser: Die aktuelle Version 1.2 des Digitalcheck ist seit Juni verfügbar. In den kommenden Iterationen geht es darum, seine Wirkung sowohl qualitativ als auch quantitativ zu steigern. Die empirischen Erkenntnisse aus dem ­bisherigen Praxisbetrieb liefern ­dafür eine wichtige Basis. Wir ­gewinnen sie aus verschiedenen Datenquellen, zum Beispiel aus ­Befragungen, Interviews, Workshops und Tests von Prototypen. Sie stellen sicher, dass der Digitalcheck praxistauglich ist, und zeigen uns, wo wir ansetzen müssen, um nutzerfreundliche Werkzeuge zur Steigerung der Wirkung zu entwickeln.

Bürger: Der Digitalcheck steht hier ja auch nicht isoliert. Wirkungsorientierung und Nutzerzentrierung sind wichtige Prämissen guter, moderner Verwaltung bei Rechtsetzungsentwürfen genauso wie in konkreten Umsetzungs­projekten. Auf diese Weise können wir die Hebelwirkung einer digitaltauglichen Gesetzgebung für einen digitalen Staat entfalten und die Basis für proaktives staatliches Handeln — also möglichst antragslose und automatisierte Verfahren — legen, wie dies beispielsweise bei der Kindergrundsicherung angedacht ist. Ziel ist es ja, dass Bundesgesetze für die Verwaltung in Ländern und Kommunen und in der Privatwirtschaft digital einfach umgesetzt werden können, damit politische Ziele genauer und besser erreicht werden können.

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